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[Interview]: Dennis Burmeister & Sascha Lange, authors of “Behind The Wall” … February 2018 (German)
Interview
Dennis Burmeister & Sascha Lange
Einleitung:
Unser Interview #3. Wer hätte das gedacht. Nach den Monument-Ausgaben (zb. deutsche Ausgabe, englische Version & Extended Limited edition) also nun ein weiteres Buch im Zusammenhang mit Depeche Mode – diesmal mit Fokus auf der Fankultur. Du erwähntest dessen Veröffentlichung ja bereits im letzten Interview.
Wann und wie genau kam es zu der Idee, ein Buch über die Depeche Mode-Fans in der DDR zu machen?
Dennis Sascha und ich merkten während unserer Arbeit an MONUMENT, dass wir zum Thema Depeche Mode in der DDR, Depeche Mode „behind the iron curtain“ zwar viel Material zusammengetragen hatten, dieses Material aber eher die Geschichte ihrer Fans abbildet. Die Band selbst hat ja physisch kaum bis gar nicht in der DDR stattgefunden. Es gab in MONUMENT ein BEHIND THE WALL-Kapitel, welches diese Geschichte zwar recht sachlich darstellt, allerdings auf Querverweise zur politischen Situation im gesamten Ostblock weitgehend verzichtete. Die Idee zu unserem neuen Buch ist also mindestens schon so alt, wie MONUMENT selbst.
Sascha Die Idee zu dieser Thematik gab es schon vor zehn Jahren. Dennis und ich haben uns bei Recherchen zum Thema „Depeche Mode-Fans in der DDR“ überhaupt erst kennengelernt, zufälligerweise übrigens im Berliner Büro von MUTE RECORDS.
(Promo-Bild Dennis Burmeister)
Ihr stammt beide aus der DDR. Wie sah eure Jugend so aus? Wie sah es mit Disko-Besuchen aus? Welche Musik lief und wie haben es die Leute aufgenommen? War der Musikkonsum zu Hause ein anderer?
Dennis Ich bin in Malchin aufgewachsen, einer recht langweiligen aber liebenswerten Kleinstadt mitten im Herzen der Mecklenburgischen Seenplatte. Malchin war keine pulsierende Metropole und wirkte im Gegensatz zu Städten wie Rostock oder Neubrandenburg eher verschlafen. Trotzdem gab es in unserer Stadt einige Tanzschuppen, wo wir uns an den Wochenenden natürlich rumtrieben. Musikalisch gesehen nahm die Stadt eher eine Sonderrolle ein. Wir wuchsen mit der Musik unserer Eltern auf, hörten die alten Platten der Beatles, der Stones, von Neil Young und Bob Dylan oder CCR. Mein Vater war großer Rolling Stones-Fan und ich erinnere mich an lange Gespräche mit ihm in unserer Küche, wo er mir regelmäßig seine Lieblingsinterpreten vorspielte. Mein Vater konnte Stunden damit verbringen, Musik im Radio aufzunehmen. Ich erinnere mich auch noch an ein altes Tonbandgerät und dass er gerissene Tonbänder mit Nagellack zusammenklebte. Mein Vater verbrachte wirklich sehr viel Zeit mit seiner Musik. Und ich tat es ihm irgendwann gleich.
Sascha Ich wuchs in Leipzig auf, in eine – ich würde mal sagen – typische Jugendzeit in den 1980ern, nur eben im Osten. Wir haben internationale Chartmusik gehört, den „La Boum-Die Fete“-Film und „Beat Street“ geschaut, Bravo-Poster getauscht und an den Wochenenden versucht, in die Diskos zu kommen. Und in der zweiten Hälfte der 1980er versuchten die Leute in unserer Clique irgendwie so auszusehen wie Depeche Mode oder The Cure.
Neben der (Schul-)Diskothek war in den 80igern das Radio eine Quelle um Musik zu entdecken. 1986 startete in der DDR, hervorgehend aus dem gleichnamigen Programm, der Jugendradiosender DT64; dort gab es später die Sendung „Electronics“ mit Olaf Zimmermann (mit „Elektrobeats“ moderiert Olaf noch heute auf RadioEins eine ähnlich gelagerte Sendung). Dort präsentierte er u.a. auch den „Depeche Mode-Titel der Woche“. Habt ihr viel Radio gehört? Welche Rolle spielte Olafs Sendung in eurem Umfeld? Wart ihr wie mein Bruder fleißige Aufnehmer der DM-Tracks und anderer Musik, die ihr mochtet?
Dennis Ich gehöre definitv zur „Generation Radio“. Meistens hörte ich DT64, schnitt bei Sendungen wie „Duett – Musik für den Rekorder“ komplette Platten unterschiedlichster Künstler mit. Samstags lief dann kurz nach Mittag erst „electronics“ mit Stefan Lasch und Olaf Zimmermann und im Anschluss daran „Tendenz Hard bis Heavy“ mit dem großartigen instrumentalen Intro The Call Of Ktulu von Metallica aus deren 1984er Meisterwerk „Ride The Lightning“. Eigentlich nahm man damals alles auf, was man musikalisch erstmal bekommen konnte. Den Luxus, auf Musik aus dem kapitalistischen Ausland aus Geschmacksgründen zu verzichten, den hatten wir damals eigentlich nicht. Wer hier das Gegenteil behauptet, der verklärt die Situation. Man hörte tatsächlich, was man bekommen konnte. Klar, man hatte seine Favoriten, hörte gewisse Interpreten besonders gerne oder verstand sich als „Fan“. Aber wie sehr „Fan“ konnte man damals von einer Band schon sein, von der man nur verschwindend geringe Bruchstücke kannte? Bei Depeche Mode war das auf Anhieb anders. Da gab es ab Mitte der 80er einen Hit nach dem anderen. Dem konnte man sich gar nicht verweigern. Entweder man mochte die Band, ihre Musik, den Pop … oder man dachte in Schubladen, legte sich musikalisch fest und verweigerte sich. Ich persönlich fand die 80er großartig. Zu gewissen Songs bin ich sofort wieder auf Zeitreise und erinnere mich an die unmöglichsten Situationen. „Down Under“ von Men At Work, „Let‘s Dance“ von David Bowie, „You‘re the Voice“ von John Farnham bis hin zu „You‘re A Woman“ von Bad Boys Blue. Alles hatte damals irgendwie seine musikalische Berechtigung, lief aber selten in den DDR-Diskotheken. Wir waren also auf das Radio angewiesen.
Sascha Das Radio war damals das wichtigste Unterhaltungs- und Informationsmedium für Jugendliche, besonders im Osten. Meine Eltern hörten auf ihrem kleinen Küchenradio meist den westdeutschen Deutschlandradio-Sender mit fast ausschließlich nur Wortbeiträgen. Musiksender wie RIAS2, Bayern3 oder NDR2 und dann ab 1986 eben auch DT64 waren hingegen viel bunter und boten den passenden Soundtrack für das Teenie-Dasein und waren darüber hinaus auch Infoquelle über die eigenen Lieblingsmusiker, quasi ein Bravo-Magazin zum Anhören. Im Gegensatz zu Dennis waren meine musikalischen Vorlieben von Anfang an auf Popmusik beschränkt, später dann mehr Indie-Musik, quasi alles zwischen Joy Division und Frankie Goes To Hollywood.
(Video zu Depeche Mode’s “Strangelove”)
Ein Riesen-Highlight war das Depeche Mode Konzert in der DDR, in der Berliner Werner-Seelenbinder-Halle am 07. März ‘88. Dazu gab es wohl auch eine Pressekonferenz. Wie habt ihr davon mitbekommen? Wart ihr da? Erzählt doch mal deine Erlebnisse im Zusammenhang mit diesem einzigartigen Konzert.
Dennis Dass Depeche Mode im Osten gespielt haben, stand irgendwann mal in der Trommel, der DDR-Zeitschrift für Jungpioniere. Daran erinnere ich mich. Allerdings war ich seinerzeit auch erst zarte 13 Jahre alt. Sascha war aber damals in Berlin dabei und seine Geschichte klingt, wie so viele andere Erzählungen rund um das Konzert, recht abenteuerlich. In unserem neuen Buch gibt es ein ausführliches Kapitel zum einzigen Depeche Mode-Konzert in der Berliner Werner-Seelenbinder-Halle.
Sascha Die Gerüchte kursierten etwa eine Woche vorher auch in Leipzig und ich mit meinen 16 Jahren wollte unbedingt dorthin. Glücklicherweise hatte ich Freunde in Ostberlin, die mir ein Ticket auf dem Schwarzmarkt besorgt hatten und meine Eltern ließen mich wirklich am Montag, den 7. März die Schule schwänzen und zum Konzert fahren. Das Konzert selbst war eines der prägendsten Erlebnisse in meinem Leben: Die West-Lieblingsband, die man nur von Postern und verrauschten Aufnahmen kannte, endlich mal live zu sehen und genau in der Zeit, wo man selbst ein Riesen-Fan war – unbeschreiblich…
(Depeche Mode Fans vor der Werner-Seelenbinder-Halle)
Es gab sicherlich wie bei Jugendlichen üblich Cliquenbildungen. In welchen wart ihr so unterwegs? Nach welchen Kriterien fand man sich zusammen – welche Rolle spielte die Musik dabei?
Dennis Ich war in der „Bushausclique“, die damals (natürlich) angesagteste Clique in der Stadt. Man traf sich nach der Schule in einer alten Bushaltestelle aus Wellblech und hing dort stundenlang ab. Wir machten es uns dort richtig gemütlich, stellten abends Kerzen auf, hörten Musik und spielten stundenlang Karten. Der eine oder andere Jugendliche schlief dort an den Wochenenden auch seinen Rausch aus. Irgendwann strichen wir das Bushaus blau/weiß an, die Farben unseres Fußballvereins Hansa Rostock, von welchem wir alle Fans waren. Musikalisch lief dort meistens Hard Rock oder Heavy Metal. Es gab aber auch viele „Blueser“ in der Clique, die Neil Young, Bob Dylan oder Janis Joplin hörten und sich als Teil der Friedensbewegung verstanden. Die meisten Fans in der Stadt hatte wahrscheinlich Udo Lindenberg. Ich kannte damals eigentlich kaum jemanden in der Stadt, der nicht auch Udo-Fan war.
Sascha Meine Jugendclique entstand 1987 aus zwei Freundeskreisen in der Leipziger Südvorstadt und wir trafen uns täglich auf dem Steinplatz. Wir waren etwa ein Dutzend Mädchen und Jungs, die alle versuchten New Waver zu sein, also trugen wir schwarze Klamotten und hatten entsprechende Frisuren. Der obligatorische Kassettenrecorder auf der Parkbank spielte neben Depeche Mode, The Cure und den Ärzten vor allem Anne Clark oder Tears For Fears; später auch Die Toten Hosen, weil einige von uns dann lieber Punks sein wollten. An den Wochenenden waren wir meist bei einem von uns zu Hause und feierten Partys.
(Depeche Mode Fans Annaberg 1989)
1988 war das Konzert und anderthalb Jahre später fiel die Mauer und die Wende wurde eingeleitet. Wie war das für euch persönlich? Welchen Eindruck, denkt ihr, hatten diese Umwälzungen allgemein auf DM-Fans in der DDR? Jetzt gab es schließlich die Möglichkeit alle geliebten Alben im Original zu kaufen. Ging man als erstes in den nächstgelegenen City Music-, WOM- oder wie auch immer genannten Laden? Gab man die 100 DM Begrüßungsgeld für Depeche Mode aus?
Dennis Ich kann mich noch gut an die unmittelbare Vorwendezeit erinnern. Es war sehr emotional, weil man plötzlich nicht mehr wusste wo man hingehörte, wo man hinwollte, bzw. wo man politisch stand. Die Menschen trauten sich plötzlich, Missstände in der DDR offen anzusprechen. Es gab einige Freunde, die mit ihren Familien plötzlich in den Westen zogen oder die Chance zur Flucht über Ungarn nutzten. Nach meinem damaligen Empfinden überschlugen sich die Ereignisse regelrecht. Man ging morgens normal zur Schule, während das Land langsam zerbrach. Das war für uns junge Heranwachsende alles gar nicht wirklich zu verstehen. Mein erster Depeche Mode-Tonträger nach dem Mauerfall war die Single „See You“ auf MCD. Und dieser Moment war schon irre. Dieser Sound, diese Stille im Hintergrund, kein quälendes Rauschen einer totgedudelten Kassette mehr. Für mich war das Science Fiction pur, ein kosmischer Hörgenuss. In Meckpomm waren wir natürlich sehr limitiert, was gut sortierte Plattenläden betraf. In Neubrandenburg gab es den „Cadillac“ und der war eigentlich recht gut sortiert mit Depeche Mode, aber auch den anderen Bands, die dann plötzlich relevant wurden.
Sascha Da ich ein paar Jahre älter als Dennis bin, habe ich die Wendezeit in der Clique noch etwas intensiver erlebt, auch die Vorgeschichte. Ich erinnere mich an einige politische Diskussionen innerhalb der Clique, wobei wir unser Wissen und unsere Argumente natürlich größtenteils von unseren Eltern aufgeschnappt hatten. Einige aus der Clique nahmen im Laufe des Jahre 1989 schon an illegalen Demos in Leipzig teil und in der Clique sind wir ab September dann auch immer auf die Montagsdemos gegangen. Und ich erinnere mich noch gut an den Gewissenskonflikt der über 18jährigen in unserer Clique: Abhauen über Ungarn oder bleiben? Die meisten von uns waren damals allerdings noch in der 10. Klasse oder in der Lehre, wir waren noch behüteter und machten uns noch keine Gedanken, wie es im Leben mal weitergehen sollte. Aber die, die ihren Facharbeiterabschluss in der Tasche hatten, waren da risikofreudiger. Nach dem Mauerfall sind wir Ende November für ein Wochenende nach Westberlin gefahren und ich hab mir von meinem Begrüßungsgeld tatsächlich eine Depeche Mode-Platte auf einem Flohmarkt gekauft. Es war das legendäre Bridgehouse-Bootleg.
Nun war die Mauer weg. Depeche Mode Fans aus dem Osten trafen auf Fans aus dem Westen? Waren da Unterschiede zu spüren? War es eher ein „Geil wir können endlich gemeinsam Dave Dancing machen“ oder stand man sich skeptisch auf den Mode-Partys gegenüber?
Dennis Wir fuhren 1992 erstmals nach Hamburg zur „Masses“. Davor feierten wir unsere Band(s) immer in Neubrandenburg, wo der damalige FC Rosebowl 88 zahlreiche legendäre Events veranstaltete. Fernweh kannte ich gar nicht. Hin- und wieder sind wir mal nach Berlin oder Hamburg gefahren, aber dann eher wegen der Konzerte, die im Rahmen der jeweiligen Partys stattfanden. Die meisten Partys feierten wir aber bei uns in der Heimat. Bei uns gab es Gott sei Dank keine Davedancing-Contests. (Hahaha)
Sascha Mit dem Ende der DDR habe ich auch erstmal Depeche Mode hinter mir gelassen und mich mit all den wenig bekannten Indie-Bands beschäftigt, die man in der DDR zuvor nicht kannte, weil sie nicht im Radio gespielt wurden. Das heißt, nun wurden sie gespielt und zwar bei DT64 in der Sonntagspätvorstellung von und mit Ronald Galenza. Da lernte ich dann Bands wie My Bloody Valentine, Slowdive oder Blumfeld und andere kennen und lieben.
1990 erschien mit „Violator“ ein Album, welches diese bewegende Zeit begleitete. Erstmalig erlebten die in der DDR aufgewachsenen den Veröffentlichungsprozess (Singles, Album, Tour). Es ist das beliebteste Album in der Fangemeinde. Wie habt ihr die Veröffentlichung erlebt? Welche Bedeutung hatte das Werk für euch? Zu „Violator“ gab es auch die erste Tour, die Fans aus beiden Teilen Deutschlands besuchen konnten. Zwei der Konzerte fanden in Berlin statt, welche quasi den Osten mit abdeckten. Seid ihr zu den Konzerten gegangen? Wie fühlte sich das an? Erzählt doch mal wie ihr es erlebt habt. Was war anders im Vergleich zum Konzert ‘88?
Dennis Die erste Berührung mit „Violator“ hatten wir damals, wenn ich mich recht erinnere, durch den Auftritt der Band bei Peters Pop Show im November 1989. Die Sendung wurde im Dezember ausgestrahlt und wir saßen bis spät in die Nacht vor der Glotze. Depeche Mode spielten neben „Personal Jesus“, der ersten Auskopplung von „Violator“ auch die spätere Erfolgssingle „Enjoy the Silence“. Ob es tatsächlich das beliebteste Album der Band ist, kann ich nicht sagen, aber es hatte schon einen unglaublichen Einfluss auf die Fans. Mein erstes Depeche Mode-Konzert fand allerdings erst 1993 statt. 1990 war ich verschüchterte 15 Jahre alt, Schüler, ohne Einkommen und fahrbaren Untersatz. Tatsächlich ärgere ich mich natürlich, damals nicht dabei gewesen zu sein. Aber es gibt ja zahlreiche gute Bootlegs der Tour. Es war die letzte rein elektronische Depeche Mode-Tour ohne Schlagzeug. Allein diesen Umstand hätte ich live gerne erlebt. Das Album selbst markiert vielleicht den künstlerischen Höhepunkt der Band, in die ich mich irgendwann mal verliebt habe. Danach veröffentlichte die Band nur noch reine Konzeptalben, die sich inhaltlich beinahe zwangsweise vom Vorgängeralbum unterscheiden mussten. Ich habe damals viele Entscheidungen der Band nicht verstanden, am wenigsten im Veröffentlichungsjahr der „Songs of Faith and Devotion“. Aber gut, man gewöhnte sich letztendlich an die vielen Stilwechselversuche und an die immer neuen Gesichter im Bandumfeld.
(Video zu Depeche Mode’s “World In My Eyes”, mit Bildern der Violator-Tour)
Viele Fans von damals sind der Band treu geblieben. In der Fangemeinde wachsen inzwischen deren Kinder hinein. Trifft dies auch speziell auf Fans aus dem Osten zu? Habt ihr ein Stimmungsbild bei den Arbeiten zum Buch aufnehmen können? Wie empfinden sie aktuelle Veröffentlichungen? Gehen sie noch gern und euphorisch zu den Konzerten?
Dennis Also die meisten Fans von damals sind der Band schon treu geblieben und fahren auch immer noch gern zu den Konzerten. Ich selbst gehöre ja auch zu den ständigen Nörglern, die früher alles besser fanden und Alan Wilder schmerzlich vermissen. Ich denke, das gehört einfach zu dieser speziellen Liebesbeziehung mit Depeche Mode dazu. Die Band ist zudem eine völlig andere, als noch vor einigen Jahren. Wenn man sich die riesigen Stadien anschaut, welche die Band heutzutage füllt, dann macht einen das manchmal schon sprachlos. Dort treffen mittlerweile drei Generationen von Fans aufeinander. Ich bin da auch weitaus weniger euphorisch als andere Fans, die spezielle Fanaktionen planen und bunte Luftballons im Stadion steigen lassen. Meine Euphorie hält sich in Grenzen, denn mein Interesse gilt ausschließlich dem Konzert. Und Depeche Mode-Konzerte sind mittlerweile große perfekte Inszenierungen, bei denen leider nichts unvorhergesehenes mehr passiert.
Sascha Ich habe den Eindruck gewonnen, dass Depeche Mode-Konzerte für die Ü40-Generation, zu der ja auch ich zähle, zunehmend die Funktion eines Jungbrunnens haben. Wenn Martin 2018 „A Question Of Lust“ singt, befinden sich in Gedanken alle wieder in der Situation 30 Jahre zuvor, wo sie als Teens zur Schmusesongrunde genau diesen Song schon mal gefeiert haben und das tut einfach gut. Ich glaube auch, dass deswegen die Leute pro Tour so viele Konzerte besuchen. Und wegen des Gemeinschaftsgefühls. Depeche Mode ist ja eine Nischenband, aber, wie Anne Haffmans schon mal sagte, diese Nische ist unglaublich groß. Und es ist natürlich toll, überall auf der Welt Gleichgesinnte zu treffen, Fans der Band. Man hat sofort einen Draht zueinander.
(Live-Video zu Depeche Mode’s “Enjoy The Silence” während der “Delta Machine” Tour)
Apropros älter werden. Dennis, zu deinen Anfangszeiten hast du sicherlich Kassetten und die ein oder andere Vinyl zu Hause gehabt. Heute wird vieles fast nur digital als Download oder Stream verkauft. Depeche Mode veröffentlichen bisher einen Großteil immer noch auf den klassischen Medien CD und Vinyl. Einige der wenigen die sich das noch leisten. Wie empfindest du den Wandel des Tonträgermediums von Tape > Vinyl > CD > mp3 > Stream?
Dennis Ich bin in Bezug auf den Niedergang der Musik durch die mp3-Industrie nicht mehr so skeptisch, wie noch vor einigen Jahren. Als Plattensammler erlebt man ja einen regelrechten Boom, denn Vinyl ist schon lange kein Nischenprodukt mehr. Als Fan von guter Musik werde ich also nach wie vor von den Plattenfirmen und Künstlern verwöhnt. Vor einigen Tagen habe ich zahlreiche mp3 von meinem Rechner gelöscht und angefangen, meine Platten und CDs zu digitalisieren. Ich kann diesen komprimierten Datenmüll einfach nicht mehr hören. Was eigentlich absurd ist, denn zu Beginn des Interviews habe ich dir noch erzählt, dass unser Fansein Mitte der 80er mit verrauschten Tapes begann. Ich habe für mich einfach beschlossen, dass ich mir für Musik wieder mehr Zeit nehmen möchte. Diesen ganzen gesammelten Datenmüll hört man sich nie wieder an. Hat man die Platte im Regal, dann greift man da schon eher mal wieder hin.
Und da haben wir doch glatt schon überzogen aber eine Frage bleibt: was kommt als nächstes bei euch beiden? Dennis, wirst du jetzt Bürgermeister in deinem Wohnort?
Dennis Hilfe, nein. Für solch einen Posten fehlt mir das diplomatische Geschick. (Hahaha)… Es wird auf jeden Fall ein drittes Buch zu Depeche Mode geben. Das Konzept steht und wir haben – wie bereits bei den beiden Vorgängern – zahlreiche Musen und Mentoren, die uns bei unserer Arbeit unterstützen. (Grins) Ich freue mich jedenfalls, dass wir mit MONUMENT und auch BEHIND THE WALL offenbar einen Nerv getroffen haben, denn die Resonanz ist nach wie vor überwältigend. Mir war und ist der Rummel um meine Person zwar immer noch ein bisschen viel, aber ich habe mit Sascha jemanden an meiner Seite, mit dem die Arbeitsteilung hervorragend funktioniert und der auch gerne in der Öffentlichkeit steht. Dafür kann ich ihm eigentlich gar nicht genug danken.
Sascha Das Arbeiten funktioniert zwischen Dennis und mir ja auch so gut, weil wir eine ähnlich kritische Einstellung zur Band haben und ihr dennoch wohlgesonnen sind, eben weil sie uns irgendwie schon das halbe Leben lang begleitet und man sich ihr irgendwie nicht entziehen kann. BEHIND THE WALL war 2008 ja ursprünglich als Dokfilm geplant, der aber aus verschiedenen Gründen damals nicht zustande kam. Einer der Gründe, warum es nun als Buch erschienen ist, ist schlicht und ergreifend, weil Dennis und ich uns so gut verstehen und wir nach MONUMENT unbedingt wieder was zusammen machen wollten, da wir uns entfernungsbedingt sonst viel zu selten sehen. Unsere Buchprojekte haben also auch eine ganz simple soziale Komponente, eben weil wir keine Geschäftspartner sondern Freunde sind. Deswegen ist es fast schon schade, dass die Arbeit am Buch vorbei ist und Dennis leider nicht mit auf die gesamte Lesetour kommen kann. Allein deswegen werden wir uns schon Gedanken über Folgeprojekte machen… Ich als Historiker mag darüber hinaus, dass man anhand der Bandgeschichte von Depeche Mode und der Geschichte ihrer Fans, viel über die Mechanismen von Pop- und Jugendkultur in den 1980ern erklären kann – auf beiden Seiten der Mauer.